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Der wesentliche Unterschied zwischen der veganen Bewegung im Osten und der veganen Bewegung im Westen - Ein Beitrag von Dr. Will Tuttle

Ich bin eben von einer vierwöchigen Vortragsreise durch Ostasien zurückgekehrt und habe dabei einige grundlegende Unterschiede zwischen östlicher und westlicher Kultur erkannt, die mir für die vegane Bewegung bedeutend erscheinen. Einer der größten Unterschiede besteht in der Beziehung der veganen Bewegung einer Kultur, zu ihren alten Weisheitslehren.  

 

Wir waren inspiriert von den bemerkenswerten Fortschritten der veganen Bewegung in Ostasien, die durch die Bemühungen buddhistischer und anderer traditioneller spiritueller und religiöser Gruppen vorangetrieben wurden. Diese Gruppen arbeiten daran, bewusstere und mitfühlendere Ess- und Konsumgewohnheiten in ihrer rasch wachsenden Mitgliederzahl und auch in der allgemeinen Bevölkerung zu fördern.

 

Zwei der buddhistischen Bewegungen in Taiwan, mit denen wir zusammengearbeitet haben, zum Beispiel Tzu Chi und Bliss & Wisdom - jede mit vielen Hunderttausenden von Anhängern - fördern aktiv die vegetarische und vegane Lebensweise durch ihre Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Laien- und Klosterschulungen, Farmen, Schutzgebiete, Katastrophenhilfe, Recycling- und Umweltsanierungsprojekte sowie andere Bildungs- und Kulturprogramme.

  

Dies gilt auch für viele andere buddhistische Gruppen in Asien, sowie für andere Glaubenstraditionen, wie Konfuzianer, Taoisten, Jains und viele Stränge der hinduistischen Tradition wie Yoga und Advaita Vedanta. Diese Traditionen ermutigen ihre Anhänger in der Regel, kein Tierfleisch zu essen und auf Grund ihrer traditionellen schriftlichen Lehren vermehrt auf Lebensmittel und Produkte aus tierischen Quellen zu verzichten.

 

Die uralte Lehre von Ahimsa (Praxis der Gewaltlosigkeit) reicht Jahrtausende zurück und ist eine Kernlehre in buddhistischen, jainistischen und hinduistischen Traditionen. Ahimsa ist die eigentliche Essenz des Veganismus, d.h. andere zum eigenen Nutzen nicht zu schädigen. Auch ist sie in konfuzianischen und taoistischen Lehren stark vertreten, welche Demut, Freundlichkeit, den Respekt für andere und die Harmonie mit der Natur fördern.

 

In all diesen religiösen Traditionen werden Tiere ausdrücklich in den Bereich moralischer Bedenken einbezogen. Und in den meisten Teilen Asiens wird davon ausgegangen, dass jemand, der Veganer oder Vegetarier ist, einer religiösen Bewegung folgt, die dies lehrt.

 

Im Westen hingegen scheint es der veganen Bewegung an angesehenen Religionen oder Weisheitslehren, welche die vegane Lebensweise stark fördern, zu fehlen. Westliche religiöse Traditionen lehnen den Veganismus größtenteils ab und unterstützen ihn nicht. In vielen Fällen widersetzen sie sich sogar entschieden dagegen, indem sie in der Kirche grillen, halal und koscher schlachten und lehren, dass der Mensch den Tieren qualitativ so überlegen ist, dass dies den fortwährenden Missbrauch für Lebensmittel und andere Zwecke rechtfertigt und keine ethischen Konsequenzen habe. 

 

Daher ist Veganismus im Westen oft anti-religiös und sogar anti-spirituell. Meist tendiert er auch dazu, pro-atheistisch und pro-materialistisch zu sein, um der entmutigenden Unterstützung von Tiermissbrauch zu entgehen, die sowohl durch die alten als auch die heutigen westlichen religiösen Lehren gefördert wird. So wird Veganismus im Westen meist als Entwicklung zu einer neuen Art des Seins gesehen, im Osten hingegen eher als Rückkehr zur Weisheit der Ahnen.

 

Ironischerweise waren es die aufeinanderfolgenden Invasionen westlicher Viehzucht-Kulturen im Osten, die über die Jahrtausende dazu beigetragen haben, dass auch sie anfingen, Tiere zu halten und zu essen. So ist auch im Osten der Fleisch- und Milchkonsum mit der Zeit gestiegen, aber ihre Erinnerung an das davor existierende Bewusstsein für den Respekt vor allem Leben, scheint noch intakter zu sein als im Westen.

 

Wie ich in meinem Buch "Ernährung und Bewusstsein" diskutiere, haben die abrahamitischen monotheistischen Religionen, sich zusammen mit der Vieh-Zuchthaltung der westlichen Kultur entwickelt und neigen dazu, die kriegerische, patriarchalische, tier- und naturdominierende Ausrichtung der westlichen Kultur zu unterstützen. Auch heute ist die westliche Kultur noch immer in ihrem Kern so organisiert, Tiere für Nahrung zu halten.

 

Diese jüdischen, christlichen und islamischen Religionen, die monotheistisch sind, waren historisch alle aggressiv in ihren Bemühungen, die Menschen zu ihrer Religion und ihrem „einen wahren Gott“ zu bekehren. Im Gegensatz dazu gibt es in buddhistischen, jainistischen, taoistischen, konfuzianischen und hinduistischen Traditionen keine Vorstellung von einem „einen wahren Gott“ und daher wenig Zwang zur Bekehrung, die ja eine eigene Form von Gewalt sein kann.

Diese nicht-theistischen östlichen Traditionen betonen die Selbstkultivierung, das spirituelle Erwachen, sowie die Harmonie mit anderen und der Natur. Sie sind in ihrer Ausrichtung inkludierend. Sie sind jedoch entschieden nicht atheistisch oder materialistisch. Im Gegensatz dazu hat die Gewalt des Westens gegen Tiere seine beiden Hauptideologien hervorgebracht: autoritäre, kriegerische Monotheismen auf der einen Seite und reduktionistische, atheistische Materialismen auf der anderen Seite. Es scheint wenig authentische Spiritualität in beiden zu geben und auch keine Unterstützung für die vegane Lebensweise.

  

Haben wir im Westen denn nicht auch alte Weisheitslehren, welche die vegetarisch-vegane Lebensweise stark unterstützen würden und an die wir uns wie der Osten wenden können, um unsere Sehnsucht nach religiöser und spiritueller Nahrung zu stillen? Leider scheint es im Westen nur wenige zu geben, die sich den riesigen und tiefgreifenden Quellen der spirituellen Weisheit der östlichen Traditionen in Umfang und Tiefe nähern.

 

Zum Beispiel besuchten wir eine vegane Schule in Taiwan, in der die Schüler die alten buddhistischen Lamrim- , Avatamsaka- und Prajnaparamita- Sutras, sowie die Gespräche des Konfuzius studierten. Diese umfangreichen Lehren fordern Altruismus, Harmonie mit der Natur und den Tieren, Respekt vor den Älteste, tägliche meditative Reflexion, sowie das Verständnis von Leben und Bewusstsein als ewig. Sie orientieren sich also am Bodhisattva-Ideal, d.h. das eigene Leben dem Wohlergehen und der Befreiung aller Wesen zu widmen. Die Schule bietet den Schülern eine starke Unterstützung in ihrer veganen Lebensweise: ihre Mahlzeiten, ihre Arbeit im Bio-Gemüsegarten und ihre Beziehungen zu anderen.

 

Um diese Art von Bildung in den Westen zu bringen, bin ich auf der Suche nach vergleichbaren alten Traditionen und Lehren, welche die vegane Lebensweise hier unterstützen und vertiefen könnten. Während es am besten erscheint, es hauptsächlich als offene Frage für unsere Kultur und Bewegung zu belassen, können wir sofort erkennen, dass es im Alten Testament mehrere hilfreiche Passagen gibt (auch wenn vieles konträr ist), ebenso im Neuen Testament in den Lehren Jesu.

 

Es gibt eine Kernanweisung der Barmherzigkeit und des Respekts für andere, sowie für Gottes Schöpfung. Möglicherweise könnte das die vegane Lebensweise unterstützen. Es gibt auch einige positive Lehren im Koran und in der islamischen Tradition, die die Freundlichkeit gegenüber Tieren fördern. Hinzu kommen die Lehren von Pythagoras, die leider größtenteils verloren gegangen sind, sowie einige der Vorsokratiker. Plutarch, Plotin, und der Stoizismus von Marcus Aurelius sind möglicherweise hilfreich.

 

In der orthodoxen Tradition gibt es auch viele Geschichten von frommen Mönchen, die sich mit Tieren anfreundeten und keine Tiere aßen oder ihnen Schaden zufügten. Nach Ansicht einiger Gelehrter waren die frühesten Christen ihren Zeitgenossen dafür bekannt, auf Fleisch, Wein und sogar auf Wolle zu verzichten, die Teilnahme an Krieg und Sklaverei zu verweigern und vegane Ideale zu leben. Auch sprachen sie sich für die Beseitigung der Passagen in der Thora aus, welche die Gewalt gegen Tiere und Menschen befürworteten.

 

Vielleicht beherbergen auch die alten Essener Gemeinschaften eine Weisheitslehre, die eine Grundlage für westliche vegane Kulturen sein können.

Ansonsten können wir im Westen sicherlich auch die östlichen Schriften und andere nicht-westliche Lehren studieren und daraus Nutzen ziehen, da sie Teil unseres menschlichen Erbes sind. Und schließlich können wir unser Bestes tun, um neue vegane, spirituelle Traditionen und Schriften zu schaffen, die eines Tages vielleicht die alten Weisheitslehren zukünftiger Generationen sein werden.

 

 

Wenn ihr weitere Vorschläge oder Ideen habt, postet diese gerne in den Kommentaren unten - danke! Hier könnt ihr unser kurzes Video der Höhepunkte der Vortragstour sehen. (Englisch)

  

Dieser Artikel kann auch im englischen Original hier gelesen werden.

Anmerkung von Stefan Wolf (Übersetzer)

 

Ich möchte an dieser Stelle noch auf eine wertvolle Doku hinweisen die faktenbasiert aufzeigt, dass das Urchristentum und die Urtexte der Bibel entschieden für eine vegetarische Lebensweise einstanden.

 

Es war jedoch durch absichtliche Textfälschungen entsprechender Bibelstellen durch die Pharisäer, Schriftgelehrten und Theologen geschehen, dass Kernaussagen stark verfälscht wurden und damit das moderne Christentum derart fleischfixiert wurde. Ohne diese Textfälschungen wäre höchstwahrscheinlich die Mehrheit der heute lebenden Christen vegetarisch ausgerichtet. Doch seht am besten selbst. Die Dokumentation heißt "Die gefälschte Bibel" und kann hier gesehen werden.

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